Prolog

The European world voyages and collections of the 18th century would not have been conceivable without the actors, the skills and the knowledge of the ‚indigenous‘ societies, – postcolonial perspectives have long pointed this out. This included geographic, navigational, regional, and linguistic expertise as well as specific references to the location, identification and uses of plants. In the European narratives of ‚discovery‘ and ‚objectified science,‘ however, this knowledge was made invisible.

The plants of the Georg Forster Herbarium were donated to the Royal Academic Museum of the University of Göttingen in 1787/88. They were collected in the years 1772 to 1775 on the second of the three famous voyages around the world (1768 – 1779/80) under British command. The cultural anthropologist, naturalist, writer of travel literature and member of the Jacobins of Mainz G.F. (1754 – 1794) participated as a nature illustrator at the age of 17. The plant specimens, drawings and publications followed the standards established since the 1750s. And yet, they also give evidence of the overwritten knowledge on which the European naturalists based their observations.

Taking three plant species – Barringtonia asiatica, Artocarpus altilis and Tupaia antarctica – as examples, the exhibition analyzes the means of documentation, the practices and the voids of botany. It points to the millennial uses of plants that Europeans did not ‚discover‘ but rather robbed, transferred, and exploited for colonial economy. 250 years after the Resolution set sail, the exhibition situates botanical collections and science in the context of colonial voyages of exploration and expansion – and connects to activist protests against the 2019 celebrations of the expeditions‘ anniversary.

Note: The exhibition texts refer to the European actors only by their initials. This is to complicate the flow of reading and to point out the anonymisation
that numerous indigenous actors of the islands visited by Europeans experienced in the European reports.

Ohne die Akteur:innen und das Wissen ‚indigener‘ Gesellschaften wären die europäischen Weltreisen und Sammlungen des 18. Jahrhunderts nicht denkbar – darauf verweisen postkoloniale Perspektiven seit langem. Dazu zählten geografische, navigatorische, landeskundliche und Sprachkenntnisse ebenso wie konkrete Hinweise auf Fundorte, Bestimmungen und Nutzungen von Pflanzen. In den europäischen Erzählungen von ‚Entdeckung‘ und ‚objektivierter Wissenschaft‘ wurde das Wissen jedoch unsichtbar gemacht.

Die Pflanzen des Georg-Forster Herbariums erhielt das Königlich Akademische Museum der Universität Göttingen 1787/88 als Geschenk. Sie wurden 1772 bis 1775 auf der zweiten der drei berühmten Weltumsegelungen (1768 – 1779/80) unter britischem Kommando gesammelt. Der Kulturanthropologe, Naturforscher, Reiseliterat und Mainzer Jakobiner G.F. (1754 – 1794) nahm 17-jährig als Naturzeichner daran teil. Die Pflanzenexemplare, Zeichnungen und Publikationen folgten den seit den 1750er-Jahren festgelegten Standards. Sie belegen aber auch das überschriebene Wissen, auf dem die europäischen Naturforscher ihre Beobachtungen aufbauten.

Anhand von drei Pflanzenarten – Barringtonia asiatica, Artocarpus altilis und Tupaia antarctica – analysiert die Ausstellung exemplarisch die Dokumentationsmittel, Praktiken und Leerstellen der Botanik. Sie verweist auf Jahrtausende alte Nutzungen von Pflanzen, die Europäer nicht ‚entdeckten‘, sondern raubten, transferierten und kolonialwirtschaftlich ausbeuteten. 250 Jahre nach dem Aufbruch der Resolution verortet die Ausstellung die botanischen Sammlungen und Wissenschaft im Kontext kolonialer Forschungsreisen und Expansion – und schlägt den Bogen zu aktivistischen Protesten gegen die Jubiläumsfeiern der Expeditionen 2019.

Anmerkung: Die Ausstellungstexte nennen die europäischen Akteure nur mit ihren Initialen. Das soll den Lesefluss erschweren und auf die Anonymisierung hinweisen, die zahlreiche einheimische Akteur:innen der bereisten Inseln in den europäischen Berichten erfuhren.

Vitrine 1

Botanische Sammlungen aus kolonialen Kontexten enthalten Pflanzenpräparate in unterschiedlichen Bearbeitungsstufen. Dazu zählen konservierte Rohmaterialien, Halbfabrikate und Warenproben. Die Proben und Behältnisse zeigen, wie Zucker, Tee, Kaffee, Kakao, Pfeffer und Kautschuk als gewinn- bringende ‚Kolonialwaren‘ verarbeitet und als kolo- nialwirtschaftliche Lehrmittel genutzt wurden. Auch das standardisierte Herbarblatt ist jedoch als koloniales Objekt zu lesen, da es ‚indigene‘ Pflanzennamen, Vermittler:innen, Kultivierungs- und Nutzungswissen überschrieb. Die Pflanzenfunde erschienen so als europäische ‚Entdeckungen‘.

EN

Botanical collections from colonial contexts contain plant specimens in various stages of processing. They include preserved raw materials, semi-finished products and samples of goods. The samples and containers give an impression of how sugar, tea, coffee, cocoa, pepper, and rubber were processed as profitable ‚colonial goods‘ and used as teaching materials for education and training in colonial economy. Even the standardized herbarium sheet, however, can be read as a colonial object: it overwrote ‚indigenous‘ plant names, mediators, and knowledge of cultivation and use of plants. Plant finds thus appeared to be European ‚discoveries‘.

Zuckerrohr, 1. H. 19. Jh./ Sugar Cane, 1st h. 19th c. Fabriksproduktenkabinett / Historical collection of Factory Products Technisches Museum Wien / Vienna Museum of Science and Technology, TMW 36700

Camellia sinensis Drogennamen / Drug names: „Folia Theae Imperial“, „Imperial Tea“ Pharmakognostisch-warenkundliche Sammlung des Botanischen Museums Pharmacognostical and commodity collection of the Botanical Museum Georg-August-Universität Göttingen, Zentrale Kustodie / Göttingen University, Central Custody

Kakaobohnen, Warenprobe / Cocoa beans, Trade Sample, ca. 1925–1935 Lehrmittelsammlung, Koloniaal Instituut Amsterdam (heute: Tropenmuseum) / Collection of teaching materials, Koloniaal Instituut Amsterdam (today: Tropenmuseum) Technisches Museum Wien / Vienna Museum of Science and Technology, TMW 78989/9

Rohgummi / Caoutchouk, 1919 Vermittelt durch / Mediated by: Edgar Herbst Österreichisch-Amerikanische Gummiwerke AG (Semperit) Technisches Museum Wien / Vienna Museum of Science and Technology, TMW 14855

Guayalepflanzen aus Mexiko, 1. H. 20. Jh. / Guayale plants from Mexico, 1st h. 20th c. Warenkundesammlung / Commodity Collection Technisches Museum Wien/ Vienna Museum of Science and Technology, TMW 80612/1-2

Kaffeezweig, Nasspräparat, vor 1918 / Coffee Twig, Wet Preparation, before 1918 K.k. Lehrmittel-Bureau für gewerbliche Unterrichts- materialien / Imperial-Royal Office for teaching materials for industrial training and education Technisches Museum Wien / Vienna Museum of Science and Technology, TMW 11344

Herbarblatt / Herbarium sheet „Piper latifolium“ [Macropiper latifolium (L.f.) Miq.] Sammler / Collector: Georg Forster, Society Islands/Tahiti 1773 Herbarium (GOET), Georg-August-Universität Göttingen, Department of Systematic Botany

Im Georg Forster Herbarium der Universität Göttingen lagern südpazifische Pflanzen, die bisher nur in der Botanik bekannt sind. Sie stammen aus James Cooks zweiter Weltumsegelung (1772—1775), an der Georg Forster (1754—1794) 17jährig als Zeichner teilnahm. Forster war nicht nur Reiseautor und Kulturanthropologe, sondern auch Naturforscher und Revolutionär. Seine botanischen Präparate, Zeichnungen und Publikationen folgen den Standards der Botanik, die im 18. Jahrhundert zur Wissenschaft wurde. Und sie verweisen auf das ‘indigene’ Wissen der polynesischen Gesellschaften, das dabei überschrieben wurde. 250 Jahre nach dem Aufbruch reflektiert die Ausstellung die Weltreisen im Kontext von europäischer Expansion, kolonialer Ausbeutung und hegemonialer Wissensproduktion. Und sie schlägt den Bogen zu den aktivistischen Protesten gegen die Expeditionsjubiläen 2019. 

Eine Ausstellung der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin FB 5 Kultur und Gestaltung Museumswissenschaften/Prof. Dr. Susan Kamel, kuratiert von Susanne Wernsing. Die Ausstellung ist das Ergebnis des Forschungsprojekts Sammeln erforschen an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin in Kooperation mit der Zentralen Kustodie der Universität Göttingen. Das Forschungsprojekt wurde von der VolkswagenStiftung gefördert.

Zu sehen war die Ausstellung vom 14.7.-14.10.2022 im Freiraum des Forum Wissen in Göttingen.
Vom 8.5.-20.6.2024 wird die Ausstellung in adaptierter Form in der Schule des Sehens der Universität Mainz präsentiert. https://www.ub.uni-mainz.de/de/TUMO

Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin
Projektleitung, HTW: Prof. Dr. Susan Kamel
Kuratorin der Ausstellung, HTW: Susanne Wernsing
Studentische Mitarbeiterin, HTW: Runa Hoffmann
Gestaltung und Produktion: Wolfgang Matzat Berlin
Grafik: arc, Berlin
Illustrationen: Christoph Worringer
Künstlerische Positionen: Kathy Jetnil-Kijiner, Sonya Schönberger, Khadija von Zinnenburg Carroll
Übersetzungen: Anke Mai, Franziska Füchsl
Lektorat: Evke Rulffes
Video-Untertitelung: Ulf Wrede creme-double Berlin
Intervention / Lesebereich: Moritz Baumeister, Johnny Ibraimo, Kieran Sattler, Johanna Strunge, Anna Louise Weßling von Göttingen postkolonial und Witzenhausen postkolonial.

Zentrale Kustodie der Universität Göttingen
Projektleitung: Dr. Marie Luisa Allemeyer
Wissenschaftliche Mitarbeit: Dr. Gudrun Bucher
Ausstellungsmanagement: Dr. Ramona Dölling
Restaurierung: Regina Klee, Cornelia Ripplinger, Winfried Feuerstein, Franziska Ries
Haus- und Medientechnik: Andreas Bresler, Christof Degenhard

Für die wissenschaftliche Begleitung des Forschungsprojekts danken wir: Prof. Dr. Demetrius Eudell, Dr. Martha Fleming, Dr. Dominik Hünniger

Die Ausstellung im Forum Wissen der Universität Göttingen wurde gefördert mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) sowie des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur (MWK).

Technische Betreuung:
Frank Dührkohp
Verbundzentrale des GBV (VZG)
Platz der Göttinger Sieben 1
37073 Göttingen
Tel.: +49(0)551/39-10405
E-Mail: frank.duehrkohp@gbv.de